Barrierefreiheit im Internet ist mehr als nur ein nettes Extra – sie ist schon bald für viele Websitebetreiber:innen eine gesetzliche Anforderung. Und mehr noch: ein Akt der Inklusion und Gleichberechtigung.
Allerdings kann die Umsetzung von Barrierefreiheit auf Websites eine Herausforderung sein – insbesondere dann, wenn die fachlichen Kompetenzen für die Umsetzung fehlen. Doch dank moderner Technologien, darunter Künstliche Intelligenz (KI) und spezielle Tools, gibt es Hoffnung: Können diese Tools dazu beitragen, die Herstellung von Barrierefreiheit zu beschleunigen?
Wie effektiv sind sie tatsächlich? Und was muss dabei beachtet werden? Wir zeigen Ihnen, wie KI und andere Tools bei der Umsetzung von Barrierefreiheit auf Websites helfen können und wo dabei die Grenzen liegen.
Die Bedeutung von Barrierefreiheit für Websites
Barrierefreiheit für Websites, was bedeutet das eigentlich konkret? Eine Website ist dann barrierefrei, wenn die Inhalte für möglichst alle Menschen zugänglich sind.
Bei folgenden Beeinträchtigungen kann eine Website bei den Nutzer:innen für Barrieren sorgen:
- Menschen mit motorischen Einschränkungen können oft keine Maus verwenden und müssen stattdessen Tastaturbefehle nutzen, um sich auf einer Website zu bewegen.
- Für Menschen mit Sehbehinderungen ist ein ausreichender Kontrast zwischen Texten, Grafiken und dem Hintergrund entscheidend, um Inhalte klar erkennen zu können.
- Blinde Nutzer:innen sind auf Screenreader angewiesen, um Websites zu durchsuchen. Inhalte wie Bilder, Buttons und Formulare ohne alternative Beschreibungen sind für sie nicht zugänglich.
- Gehörlose oder schwerhörige Personen benötigen Untertitel in Videos, um den Inhalt verstehen zu können.
- Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen wie Autismus oder ADHS können durch unübersichtliches Layout oder schwer verständliche Texte leicht abgelenkt werden.
Mit einer barrierefreien Website können Website-Betreiber:innen sicherstellen, dass ihre Inhalte von einer breiteren Palette von Nutzer:innen genutzt werden können und tragen zu mehr Inklusion und Gleichberechtigung im Internet bei.
Barrierefreiheit im Netz: Die rechtliche Grundlage dahinter
Das Behindertengleichstellungsgesetz (BGG) verpflichtet öffentliche Stellen des Bundes bereits seit 2021 dazu, ihre Websites barrierefrei zu gestalten. Mit dem Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) wird das ab Juni 2025 auch für Unternehmen Pflicht – jedenfalls für diejenigen, die über ihre Website Produkte oder Dienstleistungen an Endnutzer:innen online verkaufen.
Rechtliches zur Barrierefreiheit im Netz Was das BFSG für Websites bedeutet und welche Folgen es hat
Barrierefreiheit konkret: Die Richtlinien der WCAG
Die Web Content Accessibility Guidelines (WCAG) sind eine Reihe von Richtlinien für die Zugänglichkeit von Webinhalten. Die WCAG sind darauf ausgelegt, den Inhalt von Websites für Menschen mit Behinderungen zugänglicher zu machen. Sie berücksichtigen eine Vielzahl von Behinderungen, darunter visuelle, auditive, physische, sprachliche, kognitive und neurologische Einschränkungen.
Die Richtlinien sind in drei Ebenen der Konformität unterteilt:
- A (niedrigste Stufe mit höchster Priorität)
- AA (Standard, sollte für eine gute Zugänglichkeit erreicht werden)
- AAA (höchste Stufe mit niedrigster Priorität)
Jede Ebene hat bestimmte Kriterien, die erfüllt sein müssen.
Die WCAG enthalten vier Prinzipien, die als Grundlagen für barrierefreie Webinhalte gelten. Webinhalte sollten wahrnehmbar, bedienbar, verständlich und robust sein. Unter jedem dieser Prinzipien gibt es spezifische Richtlinien, die helfen, das Prinzip anzuwenden und zu verstehen, wie es implementiert werden kann.
Herausforderungen bei der Umsetzung von Barrierefreiheit auf Websites
Die Umsetzung von Barrierefreiheit auf Websites kann zu einer echten Herausforderung werden, insbesondere wenn das nötige Fachwissen fehlt.
Das liegt vor allem an folgenden Aspekten:
- Komplexität der Technologie: Moderne Websites nutzen komplexe Technologien wie JavaScript, interaktive Elemente und multimediale Inhalte. Die Integration dieser Elemente auf barrierefreie Weise erfordert spezielle Kenntnisse und Erfahrung.
- Mangelnde Sensibilisierung: Nicht jede:r Webentwickler:in und Designer:in ist ausreichend sensibilisiert für die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen. Dies kann zu einer Vernachlässigung der Barrierefreiheit führen.
- Zeit- und Kostenaufwand: Die Implementierung von Standards zur Barrierefreiheit erfordert zusätzliche Zeit und Ressourcen. Gerade wenn bestehende Websites angepasst werden müssen, ist dies für viele Unternehmen und Organisationen eine Herausforderung.
- Regelmäßige Aktualisierung und Wartung: Barrierefreie Websites erfordern regelmäßige Überprüfung und Aktualisierung, um sicherzustellen, dass sie den aktuellen Standards entsprechen und weiterhin zugänglich bleiben.
Einsatzmöglichkeiten von Künstlicher Intelligenz (KI)
Künstliche Intelligenz (KI) kann auf verschiedene Weise eingesetzt werden, um die Herstellung von Barrierefreiheit auf Websites zu erleichtern und zu beschleunigen und somit die Zugänglichkeit für Menschen mit unterschiedlichen Einschränkungen zu verbessern.
Der Einsatz von KI hat allerdings auch seine Grenzen und es gibt (jedenfalls nach aktuellem Stand) noch keine One-Click-Lösung, die Ihre Website vollständig barrierefrei macht und dabei tatsächlich alle Anforderungen erfüllt. Künstliche Intelligenz wirkt in diesem Bereich aktuell nur unterstützend und ersetzt nicht die Arbeit einer erfahrenen Agentur oder die von Entwickler:innen.
Ist automatisierte Übersetzung in Leichte Sprache durch KI möglich?
Leichte Sprache ist eine spezielle Form der Sprache, die darauf abzielt, Informationen leicht verständlich und zugänglich zu machen, insbesondere für Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen oder Lernschwierigkeiten. Leichte Sprache befolgt dabei klare Regeln, unter anderem dürfen zum Beispiel keine Fremdwörter oder Abkürzungen verwendet werden. Außerdem sollte jeder Satz sehr kurz sein und auch hohe Zahlen oder alte Jahreszahlen kommen in der Regel nicht in der leichten Sprache vor.
Auf der Website von Aktion Mensch wird das Thema Leichte Sprache mit ihren Hintergründen und Regeln noch näher erläutert.
Leichte Sprache ist nicht identisch mit der sogenannten Einfachen Sprache; Auch diese soll es erleichtern, Informationen verstehen zu können. Einfache Sprache ist jedoch sehr viel näher an der Alltagssprache als die Leichte Sprache. Für Einfache Sprache gibt es keine klaren Regeln und Strukturen, sondern nur konkrete Empfehlungen. Texte in Einfacher Sprache müssen deshalb nicht noch einmal von offiziellen Tester:innen geprüft werden.
Gemini, GPT-4 und SUMM AI: Die Tools im Test
Künstliche Intelligenz (KI) kann theoretisch dazu verwendet werden, Texte automatisch zu vereinfachen. Google Gemini, GPT-4 oder SUMM AI sind zum Beispiel Tools, die diese Funktionen beherrschen; sie orientieren sich dabei aber nicht an den Regeln für Leichte Sprache.
In einer Reihe auf dem Blog Multisprech wurden die drei Tools getestet und ihr Erfolg bei Übersetzungen in Einfache Sprache miteinander verglichen. Die KI-Tools nutzen zum Teil noch einerseits zu lange und andererseits im täglichen Sprachgebrauch unübliche Begriffe. Auch Fremdwörter, die eigentlich erklärungsbedürftig wären, werden nicht immer erklärt, sondern zuweilen einfach übernommen.
Eine zumindest oberflächliche Überprüfung der Ergebnisse bleibt immer notwendig; die Qualität der konkreten Ergebnisse hängt dabei auch von den Prompts und Eingaben ab, die man den Tools übergibt.
Bislang gibt es also noch kein KI-Tool, welches die automatisierte Übersetzung in Leichte Sprache beherrscht. Die spezifischen Regeln und Anforderungen Leichter Sprache werden von diesen Tools, die sehr allgemein auf die Verarbeitung und Generierung von Sprache trainiert sind, nicht wirklich berücksichtigt. Dafür bedarf es vermutlich spezialisierter Algorithmen.
Möglichkeiten der Integration von Gebärdensprach-Tools
Viele der deutschen Gehörlosen haben Probleme damit, die deutsche Schriftsprache einwandfrei zu verstehen. Sie sind mit der Deutschen Gebärdensprache (DGS) aufgewachsen, und diese hat ihre eigenen Regeln. Die deutsche Grammatik, der Satzbau und auch der Wortschatz bereiten daher vielen Gehörlosen Schwierigkeiten.
Gebärdensprache kann sinnvollerweise nur in Form von Videos in eine Website eingebunden werden. Vergessen Sie hierbei allerdings nicht, dass auch die Einbindung der Gebärdensprach-Videos (sowie alle anderen Videos auf der Website) barrierefrei geschehen muss. BIK für Alle hat einen ausführlichen Leitfaden dazu erstellt, wie man barrierefreie Videos richtig umsetzt.
Bisher scheint es noch kein Tool zu geben, welches sich einfach in die Website integrieren lässt und Inhalte in Gebärdensprache wiedergibt.
Das könnte sich allerdings in Zukunft ändern. Es gibt bereits den “Kommunalen Gebärdensprach-Avatar (KGA)” – basierend auf den Ergebnissen eines vom BMBF geförderten Verbundprojekts namens AVASAG (für Avatar-basierter Sprachassistent zur automatisierten Gebärdenübersetzung). Der Gebärdensprach-Avatar steht allerdings bisher nur Behörden zur Verfügung.
Dieser Gebärdensprach-Avatar übersetzt die in der Regel sehr ähnlichen Website-Inhalte von Behörden per Baukastensystem in Deutsche Gebärdensprache. Die Kommunen können so mit ein paar einfachen Klicks Inhalte in Form von Videos zusammenstellen – ganz ohne Gebärdensprach-Kenntnisse. Die Videos sind nach KGA-Angaben BITV 2.0-konform und werden mit einem Einbettungslink in die kommunale Website eingebunden.
Da Websites, die online Produkte und Dienstleistungen verkaufen, ab 2025 verpflichtend barrierefrei sein müssen, wäre es denkbar, dass Tools wie der Gebärdensprach-Avatar bald für jede Art von Website nutzbar sein werden und nicht nur für Kommunen. Das ist auch langfristig das Ziel des AVASAG-Projekts. Die KI des Gebärdensprach-Avatars soll trainiert und angelernt werden, um zukünftig Texte jeder Art übersetzen zu können.
Auf der Website von BIK für Alle finden Sie für die Übergangszeit entsprechend spezialisierte Agenturen, die Gebärdensprach-Videos produzieren.
Automatisierte Generierung von Bildbeschreibungen durch KI
Soziale Netzwerke wie Facebook und Instagram setzen schon seit einigen Jahren auf künstliche Intelligenz, um automatisiert Bildbeschreibungen für die von Nutzer:innen hochgeladenen Fotos zu generieren. So wollen die großen sozialen Netzwerke für mehr Barrierefreiheit sorgen.
Auch für Websites gibt es Tools, die Bildbeschreibungen automatisiert erstellen können und zum Teil auch direkt in Content Management Systeme integriert werden können.
Dazu zählen zum Beispiel folgende:
- Microsoft Azure AI Vision: Dieser Service bietet Funktionen zur automatischen Bildbeschreibung, einschließlich der Generierung von Textbeschreibungen für Bilder.
- Google Cloud Vision API: Auch mit der Cloud Vision API von Google lassen sich automatische Bildbeschreibungen erstellen.
- Clarifai: Clarifai ist ein Unternehmen, das KI-Modelle für die Bilderkennung und -beschreibung entwickelt.
Alle drei Tools verwenden fortschrittliche maschinelle Lernverfahren, um den Inhalt von Bildern zu verstehen und in natürliche Sprache umzuwandeln. Allerdings sollten Sie davon ausgehen, dass Sie jede Bildbeschreibung noch einmal redaktionell überarbeiten müssen.
Tools wie Azure AI Vision, Clarifai und Co. können zwar verwendet werden, um schnell Bildbeschreibungen zu erstellen, allerdings können die Tools – anders als Menschen – den Kontext hinter einem Bild nicht verstehen.
Laut WCAG müssen Bilder mit Alternativtexten ergänzt werden, die denselben Zweck erfüllen wie das Bild – also das wiedergeben, was für sehende Nutzer:innen selbstverständlich ist. Die Bildbeschreibungen sollten dabei möglichst kurz und präzise ausfallen.
Liefert ein Bild sehr viele Informationen, wie es zum Beispiel häufig bei Infografiken oder Diagrammen der Fall ist, darf der Alternativtext auch mal länger ausfallen. Hat ein Bild rein dekorativen Charakter, kann und sollte auf eine Bildbeschreibung hingegen ganz verzichtet werden.
Besser als mit unvollkommenen Tools Wir machen Ihre Website barrierefrei – zuverlässig.
Weitere potenzielle Anwendungen von KI für Barrierefreiheit
Es gibt bereits viele Anwendungsmöglichkeiten von KI für die Barrierefreiheit. Dazu zählen unter anderem:
- Text-zu-Sprache-Technologie: KI-gestützte Text-zu-Sprache-Technologien können dazu beitragen, Websites für Benutzer:innen zugänglicher zu machen, die Schwierigkeiten beim Lesen von Textinhalten haben. Sie ermöglichen es User:innen, sich den Text vorlesen zu lassen.
- Automatische Untertitelung für Videos: KI kann verwendet werden, um automatisch Untertitel für Videos zu generieren. Auf diese Weise wird Menschen mit Hörbeeinträchtigungen der Zugang zu Videoinhalten auf der Website ermöglicht. Allerdings erkennt die KI Audio-Inhalte womöglich nicht immer korrekt. Im Nachgang ist daher redaktionelle Kontrolle notwendig. Sie als Unternehmen sind dafür verantwortlich, dass die Inhalte korrekt wiedergegeben werden.
- Natürliche Sprachverarbeitung für Chatbots und virtuelle Assistenten: KI-gestützte Chatbots und virtuelle Assistenten können verwendet werden, um Benutzer:innen Unterstützung und Informationen in natürlicher Sprache zur Verfügung zu stellen. Das erleichtert die Interaktion für Nutzer:innen mit kognitiven Beeinträchtigungen.
Wie bereits erwähnt, ist es trotz der mittlerweile vielen Anwendungsmöglichkeiten wichtig, nicht zu vergessen, dass die Effektivität der KI-Tools stark variiert. Stand heute ist eine nachträgliche menschliche Überprüfung unverzichtbar, um die Genauigkeit und Qualität der von der KI generierten Ergebnisse zu gewährleisten.
Overlay-Tools zur Verbesserung der Barrierefreiheit
Da öffentliche Stellen in der Europäischen Union dazu verpflichtet sind, ihre Apps und Websites barrierefrei zu gestalten, nutzen seit einiger Zeit immer mehr Unternehmen die Chance und bringen sogenannte Overlay-Tools auf den Markt.
Diese sollen, so das Versprechen, Websites schnell und einfach barrierefrei machen, je nach Tool-Anbieter scheinbar sogar vollkommen automatisch.
Es wäre doch sehr praktisch, wenn ein einziges Tool eine Website vollkommen barrierefrei machen könnte. Unternehmen und Behörden könnten dann eine Menge Geld sparen, denn in der Regel sind sie auf die Expertise von erfahrenen Agenturen und Webentwickler:innen angewiesen.
Aber lässt sich mit den Overlay-Tools tatsächlich eine gesamte Website vollkommen barrierefrei gemäß der WCAG machen?
Vorab: Nein, leider nicht und im weiteren Verlauf erklären wir Ihnen auch, warum Overlay-Tools nicht die optimale Lösung sind.
Was sind Overlay-Tools und wie funktionieren sie?
Overlay-Tools sind Softwarelösungen, die die Barrierefreiheit von Websites verbessern sollen. Sie sollen dazu dienen, Anpassungen und Funktionen auf Websites zu integrieren, um sie für Menschen mit verschiedenen Beeinträchtigungen oder speziellen Bedürfnissen zugänglicher zu machen.
Die genaue Funktionsweise der Overlay-Tools variiert je nach Anbieter und den spezifischen Funktionen, aber im Allgemeinen folgen sie einem ähnlichen Prinzip: In der Regel werden die Overlay-Tools über JavaScript-Codes in die Website integriert. Diese Codes laden die Overlay-Funktionen beim Öffnen der Website nach und ermöglichen es den Benutzer:innen dann, auf die Barrierefreiheitsanpassungen zuzugreifen.
Die Anpassungen bleiben nur wirksam, solange das Tool auf der Website eingebunden ist.
Automatische und benutzerdefinierte Anpassungen
Viele Overlay-Tools bieten automatische Anpassungen, die auf der Website angewendet werden, ohne dass die Benutzer:innen etwas tun müssen. Bei einigen Overlay-Tools können die Benutzer:innen auch individuelle Einstellungen vornehmen, um die Website besser an ihre Bedürfnisse anzupassen.
Barrierefreiheitsprüfung sowie Kontinuierliche Überwachung und Aktualisierung
Einige Overlay-Werkzeuge verfügen über eingebaute Barrierefreiheitsprüfungs-Tools. Diese sollen Betreiber:innen von Websites dabei unterstützen, Probleme zu entdecken und zu korrigieren, die die Zugänglichkeit der Website möglicherweise beeinträchtigen.
Darüber hinaus überwachen viele dieser Overlay-Werkzeuge die Barrierefreiheit der Website und nehmen laut den Angaben einiger Hersteller automatisch Anpassungen vor, wenn nötig.
Warum Overlay-Tools keine optimale Lösung sind
Zum aktuellen Zeitpunkt ist es leider noch reines Wunschdenken, dass mit einem einzigen Tool eine gesamte Website barrierefrei gemacht werden kann. Im schlimmsten Fall können sie sogar weitere Barrieren schaffen, nämlich dann, wenn es zu Wechselwirkungen mit anderen Hilfstechnologien kommt.
In der Regel benutzt eine Vielzahl der Menschen mit Beeinträchtigungen bereits Hilfstechnologien, die ihnen den Zugang zum Internet erleichtern (z.B. Screen Reader Software, Sprachsteuerungstechnologien oder Vergrößerungssoftware).
Overlay-Tools können die Funktionalität bestehender Hilfstechnologien negativ beeinflussen und somit die Zugänglichkeit des Webauftritts verschlechtern, statt sie zu verbessern. Menschen mit Einschränkungen haben dann womöglich erhebliche Schwierigkeiten beim Zugriff auf die Website und werden im schlimmsten Fall sogar vollständig von der Nutzung ausgeschlossen.
Automatisierte Lösungen haben begrenzte Wirkung
Obwohl Overlay-Tools automatische Anpassungen vornehmen können, um die Zugänglichkeit zu verbessern, können sie nicht alle Aspekte der Barrierefreiheit abdecken.
Tatsächlich kann nur ein sehr kleiner Teil der Barrierefreiheitsanforderungen automatisiert durch die Overlay-Tools geprüft werden. Zum Beispiel fehlt den Overlay-Tools der Kontext für bestimmte Informationen, die für die Barrierefreiheit entscheidend sind, wie zum Beispiel die Erstellung von Alternativtexten für Bilder.
Außerdem können die Tools keine Untertitel für Videos erstellen, und auch wenn es um die Optimierung von Texten geht, stoßen Overlays an ihre Grenzen. Die Tools können zwar erkennen, ob eine Seite einen Titel hat oder durch mehrere Überschriften untergliedert ist. Leider erkennen sie jedoch nicht, ob diese Überschriften auch aussagekräftig sind und hierarchisch sinnvoll angeordnet wurden.
Wie beschrieben kommt es bei den Overlay-Tools auch immer wieder zu Wechselwirkungen mit den Barrierefreiheitswerkzeugen der Nutzer:innen. Viele Nutzer:innen müssen deshalb sogar schon zu Browsererweiterungen wie AccessiByeBye greifen, die das Ausführen der Overlays verhindern.
Wer sich also allein auf Overlay-Tools verlässt, muss schlimmstenfalls mit rechtlichen Konsequenzen rechnen, wenn die Website die Anforderungen der WCAG nicht erfüllt. Es sollte stets durch geschulte Expert:innen sichergestellt werden, dass die Anforderungen an die Barrierefreiheit auch korrekt umgesetzt wurden.
Auch wenn Overlay-Tools eine Website nicht automatisiert und ohne manuelle Prüfung durch Menschenhand barrierefrei machen können, sind die Überwachungsstellen des Bundes und der Länder für die Barrierefreiheit von Informationstechnik zumindest folgender Meinung:
“Overlay-Tools können eine schon vorhandene Barrierefreiheit verbessern, indem z. B. zusätzliche Kriterien der Konformitätsstufe AAA der WCAG erfüllt werden.”
Insbesondere für die Erfüllung des Kriteriums „1.4.8 Visuelle Präsentation“ seien sie vorstellbar.
Barrierefreiheit systematisch und kontinuierlich sichern
Der beste Ansatz zur Verbesserung der Zugänglichkeit Ihrer Website besteht jedoch darin, Barrierefreiheit von Anfang an in das Design und die Entwicklung Ihrer Website zu integrieren. Auch regelmäßige Zugänglichkeitsprüfungen stellen sicher, dass Ihre Website für alle Benutzer:innen zugänglich ist und auch bleibt. Wenn Ihnen intern das nötige Fachwissen fehlt, sollten Sie Webentwickler:innen oder eine Agentur mit Erfahrung im Bereich Digitale Barrierefreiheit zu Rate ziehen.
Ist Ihre Website erst einmal barrierefrei, ist es damit allerdings noch nicht getan. Es wäre sinnvoll, fortan in regelmäßige Schulungen und Weiterbildungen zu investieren. Barrierefreiheit ist ein fortlaufender Prozess. Es ist wichtig, dass die Inhaltsverantwortlichen in Ihrem Unternehmen kontinuierlich geschult werden und über die Richtlinien für die Barrierefreiheit auf dem Laufenden bleiben.
Problemanalyse-Tools unterstützen die manuelle Prüfung
Problemanalyse-Tools wie WAVE oder AChecker erkennen Zugänglichkeitsprobleme und können hilfreich für einen ersten Check Ihrer Website sein. Wichtig zu wissen ist, dass auch etwaige Problemanalyse-Tools aktuell nur gut genug sind, um unterstützend zur manuellen Prüfung zu wirken.
Die Analyse-Tools messen nur, was sich auch technisch identifizieren lässt. Es braucht für viele Aspekte noch eine manuelle Prüfung – vor allem bei Problemen, die Kontext oder menschliche Interpretation erfordern. Menschliche Überprüfung kann beispielsweise dann gefordert sein, wenn es darum geht zu prüfen, ob Alt-Texte bei Bildern auch richtig und sinnvoll genutzt werden.
Und: Die Tools schauen sich in der Regel nur einzelne URLs an. Sie navigieren nicht durch eine gesamte Website oder führen automatisierte Durchläufe durch mehrere Seiten durch. Daher können sie nicht alle Arten von Barrieren identifizieren.
Es ist also möglich, für eine einzelne Seite eine hohe Zugänglichkeitsbewertung zu erhalten, während andere Seiten auf der Website ernsthafte Probleme aufweisen könnten.
Für eine umfassende und genaue Zugänglichkeitsbewertung ist es daher wichtig, manuelle Prüfverfahren und Benutzertests zu verwenden, um ein vollständiges Bild der Zugänglichkeit einer Website zu erhalten.
Fazit
Künstliche Intelligenz und andere Tools zur Problemanalyse und Co. können dabei unterstützen, den Prozess zur Schaffung einer barrierefreien Website zu vereinfachen. Von automatisierten Übersetzungen in Einfache Sprache über die Generierung von Bildbeschreibungen bis hin zur Integration von Gebärdensprach-Tools – die Möglichkeiten sind vielfältig.
Allerdings dürfen wir nicht vergessen, dass diese Technologien ihre Grenzen haben. Sie können uns wertvolle Dienste leisten und vieles einfacher machen, ersetzen jedoch keinesfalls die Fachkompetenz von Redakteur:innen, Webentwickler:innen und Agenturen, die speziell auf das Thema Barrierefreiheit geschult sind.
Es ist also entscheidend, ein ganzheitliches Verständnis von Barrierefreiheit zu entwickeln und dieses in allen Aspekten der Webentwicklung zu berücksichtigen. Nur so kann sichergestellt werden, dass Webinhalte für alle Menschen zugänglich und nutzbar sind.
Barrierefreiheit ist ein stetiger Prozess und eine Aufgabe, die nicht nur technische, sondern auch menschliche Kompetenz erfordert. Und während wir uns über jedes Tool freuen, das uns dabei unterstützt, den Weg zur Barrierefreiheit zu ebnen, sollten wir immer im Hinterkopf behalten: Die Technologie ist nur so gut wie die Menschen, die sie einsetzen und überwachen.